Drei Jungs und eine Mutter unterwegs

Arved ist reiselustig und wissbegierig – zu gleichen Teilen genetisch geprägt wie vom familiären Umfeld. Seit jeher sind wir unterwegs gewesen, und Arved war (fast) immer dabei. Die große Ausnahme ereignete sich vor zwei Jahren, als ich beschloss, mit seinen älteren Brüdern nach deren Konfirmation nach Amerika zu fliegen und von Chicago aus den Michigan-See zu umrunden. Wir saßen um den Küchentisch, planten und Arved riss die Arme jubelnd hoch: „Ja, ja, (A)meri(t)a!“ Oh Mann, da hatte ich nicht aufgepasst – denn er sollte schließlich nicht mit. Es half nichts, ich musste das sofort aufklären und fand spontan einen Weg, der seine Enttäuschung auffing: „Arved, wenn du konfirmiert wirst, dann machen wir eine Reise. Zum Beispiel nach Schottland…“

In diesem Juli brachen wir auf. Zwölf Tage lang zu viert: Meine 16-jährigen Zwillinge Per und Ole, Arved – mittlerweile 14 – und ich. Meine ursprüngliche Idee, in Schottland von Jugendherberge zu Jugendherberge zu reisen, hatte ich zum Glück verworfen. Mit dem Billigflieger hüpften wir von Hamburg aus direkt über die Nordsee nach Edinburgh. Entgegen meinen Befürchtungen kamen wir entspannt an. Das blieb auch so, obwohl bei der Einreise festgestellt wurde, dass Per mit ungültigem Personalausweis unterwegs war. Dafür sorgte das freundliche Personal am Flughafen, das uns an der langen Schlange vorbei lotste und Arved, der den Stinkefinger gezeigt hatte, mit einer Flasche Wasser  ruhig stellte. Wir waren begeistert, „parkten“ das Problem mit den Papieren erstmal und ich beschloss, spontan ein Auto zu mieten. Schottland wirkte auf Anhieb stressfrei, die Abendsonne schien und mein Nervenkostüm gab her, mich statt in ein Taxi zu setzen doch gleich selbst mit den Jungs in den Linksverkehr zu stürzen.

Wir bezogen unser „(s)tone (t)ottage“, auf das sich Arved schon seit Woche freute. Die Stadt Stirling liegt rund 45 Minuten von Edinburgh und Glasgow entfernt, und wir hatten ein kleines Häuschen in einem Dorf am Stadtrand gemietet. Noch war der Kühlschrank leer, wir gönnten uns ein Essen im Pub – und genossen die erste Nacht in unserem Zuhause auf Zeit. Die Buchung war zufällig zustande gekommen, doch besser hätten wir es nicht treffen können. Sehr gemütlich und praktisch eingerichtet, bot uns das Cottage viel Platz, so dass wir uns bei Bedarf verteilen und aus dem Weg gehen konnten. Ganz wichtig für ein wenig Entspannung zwischendurch!

Genau wie seine älteren Brüder lässt sich Arved mit großem Interesse auf neue Orte ein. Mich freut es sehr, dass alle drei Söhne meine Leidenschaft teilen: Reisen ist für uns viel mehr als Urlaub machen. Einkäufe in fremdländischen Geschäften, ausprobieren typischer Speisen, herausfinden, was woanders wichtig ist und wie die Dinge funktionieren, Kontakte knüpfen und „mitmachen“, was sich bietet. Für Arved ist es wie bei den Projekten, die er in der Schule auch so sehr liebt: Einsteigen, erkunden und in das eigene Repertoire aufnehmen, was einem gefällt. Die unkomplizierte Freundlichkeit der Schotten. Das warme Frühstück mit Eiern, Bohnen und Speck – und sogar Haggis mochte er. (Ich nicht.)

Reiseführer, Hörbücher, Fernsehreportagen – wir hatten uns im Vorfeld gut eingestimmt auf unser Ziel. Arved wollte ständig etwas wissen: „Was essen? Was machen? Tiere – Schottland?? Loch Ness. Nessie!“ Ein kleiner Englischkurs vor dem Einschlafen gehörte auch dazu. „My name is Arved.“ „(D)oo(d) night!“ Wochenlang vorher drehte es sich um Dudelsäcke, Schottenröcke und „Highland (D)ames“. In die Geschichte der Alva Highland Games könnte er eingegangen sein – für den größten Schreck, den je ein Besucher der Veranstaltung erlitt! Rund um die sportlichen Wettkämpfe waren Fahrgeschäfte und Fressbuden aufgestellt, und Arved wollte unbedingt auf die Geisterbahn… Mit lautstarken und nachhaltigen Folgen. Zitternd und bebend warf sich der Erschreckte nach der Fahrt herzzerreißend heulend in meine Arme. Bruder Per hatte sein Bestes geben müssen, um ihn durch die Fahrt zu bringen – am Ende war alles wieder gut, konnte Arved mit allen zusammen laut über sich selbst lachen. Den Rest des Nachmittags genossen wir ein Sport-„Fest“ im wahrsten Sinne.  Mehr Eindruck als die Dudelsackspieler haben übrigens die unermüdlichen Mädchen und ihre Highland-Tänze bei Arved hinterlassen. Mit seinem Schottenrock-Handtuch um die Hüften tanzt er die begeistert nach. 

In und um Stirling gab es einiges zu sehen, wir hatten eine gute Basis gefunden und genossen unser Heim in der Fremde. Ich war sonntags sogar in der Kirche, und ehrlich gesagt froh, dass alle Jungs zuhause bleiben wollten. So konnte ich in Ruhe den Gottesdienst besuchen und anschließend beim Kirchenkaffee Tee trinken und quatschen… Gleich nebenan gab es einen Park mit großartigem Spielplatz. Als bangbüxige Mutter konnte gar nicht mit ansehen, wie hoch Arved auf dem Klettergerüst turnte – seine Brüder haben es mir mit großem Stolz berichtet. Die Zwillinge sind mittlerweile schon junge Männer. Ohne ihre Unterstützung in den stressigen Situationen wäre eine solche Tour nicht möglich. Allein mit Arved zwölf Tage unterwegs? Undenkbar für mich. Zu viert stimmte die Bilanz, und häufig genug sorgte der anstrengendste Teilnehmer für die ganz besonderen Reise-Erlebnisse. Beim „ceilidh“, dem Volkstanzabend, hatte ich insbesondere an meinen tanzbegeisterten Jüngsten gedacht. Die Schritte und Figuren hinzubekommen war allerdings ganz schön schwer, das konnte er kaum schaffen. Spaß hatte er trotzdem und seine Brüder waren am Ende doch ganz froh, nicht in Jogginghose mitgekommen zu sein… „Komm, Mama, lass uns nochmal“, forderte mich Ole auf – was für ein herrlicher Abend! Einige schmucke Schottenrockträger tanzten mit. Zum Abschluss tippte Arved den Nettesten an: „Foto?“. Und es gab ein Foto. Reisen macht selbstbewusst.


Enttäuscht waren wir von Loch Ness. Mit dem Ungeheuer hatten wir nicht wirklich gerechnet, landschaftlich allerdings mit Eindrucksvollerem. Egal, dieser stinknormale See bot uns den Anlass für unsere eintägige Rundtour durch die Highlands mit vielen tollen Stopps, Entdeckungen, Gesprächen und super leckeren Fish & Chips. Mit Salz und Essig natürlich.

Nicht nur an diesem Tag, eigentlich den ganzen Urlaub über hatten wir unglaubliches Glück mit dem sonnigen, warmen Wetter. Ich gebe es zu – hätte es schottisch geregnet, wären wir aufgeschmissen gewesen… Schirme sind nicht wirklich guter Regenschutz. Dann hätten wie noch ein wenig intensiver vom WLAN im Cottage profitiert. Zu ihren Geburtstagen hatte ich jedem Kind einen Adapter geschenkt, damit es ja keine Lade-Engpässe geben würde. Das stellte sich als sehr clevere Vorbereitung heraus.

Weil unser Cottage für die beiden letzten Tage belegt war, kam es doch noch zu zwei Nächten Jugendherberge. Wunderschön am Wasser gelegen  gelegen mit eigenem Steg. Für Arved war klar: „I(ch) (will) baden!“. In dem sehr kalten Wasser war ein wenig „Unterstützung“ durch die Brüder nötig. So hatten wir am Ende im Loch Lomond unser Nessie-Familien-Erlebnis! Mit dem beim Deutschen Konsulat in Edinburgh besorgten Ersatzausweis durften wir vollzählig wieder ausreisen. Ganz angenehm, dass der Sicherheitsbereich am Flughafen eine Möglichkeit für „family und special assistance“ anbot, so dass wir uns nicht durch die langen Schlangen quälen mussten.  Beim Ausstieg aus dem Flieger in Hamburg drehte sich Arved zu den Stewardessen um: „Bye-bye!“ Ein echter Globetrotter.

Schade, dass die Konfirmations-Reisen und damit auch Schottland nun hinter uns liegen. Doch ab jetzt wollen wir jedes Jahr eine Woche zu viert verreisen. Egal wohin… Der Reisespaß beginnt mit Planung und Vorfreude!